Ist Faulheit angeboren – oder Folge des Sozialsystems?
In den Industriegesellschaften gilt Fleiß als große Tugend. Sein Gegenspieler, die Faulheit, wird geächtet und sanktioniert. Doch ist Faulheit wirklich eine charakterliche Schwäche, der man nur mit Zuckerbrot und Peitsche beikommen kann?
Der niederländische Historiker Rutger Bregman sagt in seinem viel beachteten TEDTalk: Indem wir arme Menschen als „faul“ bezeichneten, machten wir ihre strukturelle Benachteiligung zu einem moralischen Urteil und erklärten sie damit selbst zu den Schuldigen. Er widerspricht und behauptet: Armut ist keine Charakterschwäche, sondern schlicht ein Mangel an Geld.
Auch Hartmut Rosa, Soziologe an der Universität Jena, dreht das Faulheitsargument um: „Dieses Phänomen, dass Menschen so frustriert werden, dass sie mit der Bierflasche vorm Fernseher sitzen, das hat Hartz IV erzeugt. Weil es diesen Menschen und ihre Zeit entwertet hat. Wenn man den gleichen Menschen vermittelt, eigentlich seid ihr überflüssige Wesen, dann entzieht man ihnen die Möglichkeit aktiv, kreativ und innovativ mit Welt und Gesellschaft verbunden zu sein.“
Faulheit sei nichts typisch Menschliches, das durch Druck abtrainiert werden müsse, sondern werde erst durch das Sozialsystem selbst erzeugt, sagt Rosa: „Menschen strengen sich gerne an. Sie sind auch gerne kreativ. Das gehört zu unserem Wesen dazu.“
„Leistung muss sich wieder lohnen“ gilt nicht für Erwerbslose
Tatsächlich ist ein viel kritisierter Konstruktionsfehler im Hartz-IV-System, dass es wenig finanziellen Anreiz gibt, bezahlte Arbeit aufzunehmen, da 80 Prozent des Zuverdienstes direkt wieder abgezogen werden. Während sich für die Erwerbstätigen „Leistung wieder lohnen“ soll, werden Erwerbslose dafür bestraft. Ist es da verwunderlich, wenn die Motivation sinkt und Faulheit entsteht?
Doch möglicherweise ist die ganze Idee von Faulheit einen kritischen Blick wert. Denn obwohl Erwerbslosen 80 Prozent ihres Lohns abgezogen werden, gehen eine Million Hartz-IV-Empfänger*innen sehr wohl arbeiten.